Man kommt aus Polen nach Deutschland und trifft nach wenigen Metern auf Lenin. Befremdend, aber wahr. Direkt an der Eingangspforte der Bundesrepublik Deutschland wurde im April 2016 eine Leninbüste wiedererrichtet. Es handelt sich um eine während des 2. Weltkriegs als Kriegsbeute gestohlene Skulptur aus der Sowjetunion, die in Küstrin-Kietz eingeschmolzen und in Rohmaterial für die Waffenindustrie verwandelt werden sollte. Wahrscheinlich aus ideologischer Überzeugung versteckten zwei Arbeiter des Verschrottungsunternehmens die goldene Büste und verhinderten dadurch deren Zerstörung.
Diese heldenhafte Aktion erinnert an die zu DDR-Zeiten propagandistisch ausgebreitete Legende der vermeintlichen Rettung der Leninstatue von Eisleben, bei der man jedoch im Nachhinein einige entscheidende Widersprüche feststellte, die sie als Mythos enttarnten. Im Falle der Küstrin-Kietzer Geschichte hingegen deuten die letzten Forschungen örtlicher Historiker tatsächlich auf eine beabsichtigte Rettungsaktion von zwei Arbeitern, die angesichts der möglichen Anklage wegen Sabotage und Verrat ihr Leben dafür riskierten, das Lenindenkmal zu retten.
Unmittelbar nach dem Ende des Krieges kam die Büste vor das Zollgebäude am Bahnhof. Sie wechselte in den darauffolgenden Jahren aus verschiedenen Gründen einige Male ihren Standort, ehe sie Mitte der 50er Jahre vor dem Kulturzentrum „Haus der Eisenbahner“ aufgestellt wurde. Dort blieb die Skulptur bis zur Wende, als sie demontiert und hinter dem Gebäude der Gemeindeverwaltung abgelegt wurde. Da die Gefahr bestand, dass sie gestohlen oder zerstört werden könnte, beschloss ein Nachbar auf eigene Faust den goldenen Lenin auf seinem Grundstück in Sicherheit zu bringen. In der Gemeindeverwaltung störte das niemanden. Man war anscheinend erleichtert, das sperrige Überbleibsel losgeworden zu sein und ging der verschollenen Skulptur nicht weiter nach.
Nachdem der sowjetische Revolutionär jahrelang in einem Gemüsegarten verweilte, fragten sich irgendwann die Nachfahren des letzten Leninretters, was man mit der Skulptur machen solle. Ein Fischer der Gemeinde zeigte Interesse daran, das Denkmal vor seinem Imbiss auf der Oderinsel aufzustellen. Das sei ein angemessener Standort für dieses inzwischen etwas heruntergekommene Zeugnis der Küstrin-Kietzer Geschichte. Und so wurde das Denkmal 2016 auf dem Grundstück des Imbisses, direkt neben einem Fischerboot, wiedererrichtet.
UPDATE: Die Büste wurde im Frühjahr 2019 abmontiert und als Leihgabe in die DDR-Ausstellung der IFA-Freunde Trebus-Fürstenwalde gebracht. Vorher wurde sie frisch mit goldener Farbe lackiert, sodass sie jetzt wie neu aussieht.
ENGLISH
At the border
In April 2016 a bust of Lenin was erected only a few meters from the border between Germany and Poland. During World War II, this sculpture had been stolen by the German army in the Soviet Union and sent to Küstrin-Kietz, in order to be destroyed and reused as a raw material for the arms industry. But two workers of the scrapping facility decided to hide it, saving it from the imminent smelting.
This heroic action reminds us of the legend of the statue of Lenin in Eisleben. During the GDR, the history of its rescue by a group of communist workers was used as propaganda, but the latest research show that it is based on contradictory and false facts. However, in the case of the episode in Küstrin-Kietz, contemporary historians confirm the veracity of the rescue. It really seems that these two workers risked their lives to save the monument dedicated to Lenin.
After the end of the war, the bust was placed in front of the train station. For diverse reasons, it had to change a few times its location and finally, in the mid-1950s, it ended up on a pedestal in front of the cultural center. It stayed there until the German reunification, when it was immediately removed. As a result, it was left behind the building of the city council, among garbage and building materials. Since it was endangered of being stolen or destroyed (a lot of monuments of the GDR ended up in a scrapyard), a neighbor decided to protect the figure of Lenin by storing it on his own property. In the city council, no one cared about the disappearance of the monument. In the chaotic times of the post-reunification, they were probably relieved for getting rid of that bulky leftover.
The sculpture would stay for many years in the backyard of his rescuer, until a few years ago his family started to look for a more appropriate place for this historical monument. A fisher proposed to erect the bust in front of his snack-bar on the Oder Island, only a few meters from the Polish border. Everyone agreed that this could be a better place for the bust. Its golden gloss paint is peeling off and some parts of it are rusty, but it remains a relic of the turbulent past of the city.
UPDATE: The bust was removed in spring 2019 and brought to the exhibition about the GDR of the IFA-Freunde Trebus-Fürstenwalde. Before, it was freshly painted, so that it now looks like new.
Fotos der restaurierten Leninbüste: Conny Blanke / IFA-Freunde Trebus e. V.