Am Tor zum Norden

Gekritzel at night

DEUTSCH

FerryDer Zug, der am 9. April 1917 Zürich verließ, um eine Gruppe im Exil lebender russischer Sozialisten in ihre Heimat zu bringen, ist ein wichtiger Bestandteil der Geschichte des XX. Jahrhunderts: Mit ihm fuhr nämlich Lenin zurück nach Russland, wo er die politische Instabilität nutzte, um an die Macht zu kommen und seine in den Zürcher Bibliotheken und Gesprächskreisen lang geschmiedeten Revolutionspläne zu verwirklichen. Der Zug überquerte ganz Deutschland von der Schweizer Grenze bis Sassnitz, wo er auf eine Fähre geladen und nach Schweden gefahren wurde, um schließlich nach Petrograd (heute Sankt Petersburg) zu gelangen.

Stefan Zweig widmet diesem historischen Ereignis eine Erzählung in seinem Werk Sternstunden der Menschheit, in der zu lesen ist: „Millionen vernichtender Geschosse sind in dem Weltkrieg abgefeuert worden, die wuchtigsten, die gewaltigsten, die weithintragendsten Projektile von den Ingenieuren ersonnen worden. Aber kein Geschoß war weittragender und schicksalsentscheidender in der neueren Geschichte als dieser Zug, der, geladen mit den gefährlichsten, entschlossensten Revolutionären des Jahrhunderts, in dieser Stunde von der Schweizer Grenze über ganz Deutschland saust, um in Petersburg zu landen und dort die Ordnung der Zeit zu zersprengen.”

GekritzelIn Sassnitz gab es seit den 70er Jahren ein kleines Museum und einen Gedenkstein, die an diese Reise erinnerten. Das Museum wurde nach der Wende geschlossen, aber im alten Hafen gibt es zurzeit eine kleine Sonderausstellung zu der über hundertjährigen Fährverbindung zwischen Sassnitz und Trelleborg, der  Sassnitz die frühere Bezeichnung als „das Tor zum Norden“ zu bedanken hat. Touristen, die sich für die Ausstellung interessieren, finden dort auch Informationen über die Zugfahrt Lenins.  Der am 22. April 1962 feierlich enthüllte Gedenkstein (Schöpfung eines Künstlerkollektivs der Fachschule für angewandte Kunst in Heiligendamm bei Rostock) wurde allerdings nicht entfernt und steht dementsprechend immer noch auf dem kleinen Hügel direkt am Hafen, unweit eines Hotels und eines Wellnesscenters mit Blick auf das Meer. Das Denkmal liegt ein bisschen abseits der Fußgängerzone und wird von der großen Mehrheit der Besucher und auch von der einheimischen Bevölkerung schlicht übersehen. Die meisten Leute in Sassnitz wissen gar nicht, dass es noch steht. Inzwischen ist es sehr schwierig geworden, zu erkennen, wem diese Steintafel überhaupt gewidmet sein soll. Die Zeit, der Wind und die Luftfeuchtigkeit haben aus dem eingravierten Text und dem Kopf Lenins ein kaum zu entzifferndes Gekritzel gemacht. Nur mit großem Willen und Geduld kann man die Botschaft noch entschlüsseln: „Wladimir Iljitsch Lenin kehrte 1917 aus der Emigration über Sassnitz zur Leitung der großen sozialistischen Oktoberrevolution nach Russland zurück.”

ENGLISH

At the Gate to the north
Porto1The train, which left Zurich the 9th of April 1917, returning a group of Russian socialists, which were living in exile, back to their home country is one of the most important happenings in the 20th century history: This was the train, which took Lenin to Russia, where he would use the politic instability in order to put into practice his revolutionary plans, prepared for year in the libraries and political circles of Zurich. This train crossed Germany from the Swiss border to Sassnitz, where it was loaded on a ferry boat and driven to Sweden, from where ir would finally head towards Petrograd (today St. Petersburg). The Austrian author Stefan Zweig wrote a short-story about this historical episode, which is part of his book Sternstunden der Menschheit.

Since the 70ies there were a small museum and a memorial stone in Sassnitz, which commemorated this trip. The museum was closed after the TafelGerman reunification, but in the exhibition about the over one hundred years old ferry line from Sassnitz to Trelleborg (Due to this important connection to Scandinavia, Sassnitz was called the gate to the north), you can currently find information – both in German and Swedish – about Lenin’s journey in April of 1917. The memorial stone – unveiled on the 22. April 1962 – was not removed and can still be visited on the top of the little hill just next to the port, next to a hotel and a wellness-center with views over the North Sea. This little monument is located in a hidden corner apart from the pedestrian zone, so that most of the tourist and local inhabitants do not even notice it. Most people in Sassnitz do not even remember it’s existence. After so many years it has become very difficult to read the text on the stone panel. Time, wind and humidity have turned the engraved text into an indecipherable scribble. Only with a lot of patience you can still reconstruct the original text: „Wladimir Ilyich Lenin returned in 1917 from his emigration via Sassnitz, in order to lead the big socialist October Revolution in Russia.”

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Alter Hafen

Schienen

UPDATE: Im Jahr 2016 wurde die Tafel anlässlich des 100. Jubiläums von Lenins Reise restauriert und mit einer Infotafel versehen. Fotos von K. Schoetzau:

 

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